
Gastbeitrag von:
Paola Gallati ist eine eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin aus der Schweiz. Sie arbeitet als Beraterin/Psychotherapeutin und unterstützt insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene darin, ihren eigenen, persönlichen Lebensweg zu finden.
Gastautor/in: Was ist das und wie kann man Gastautor/in werden?
Sensible Lebensphasen des Jugendalters
Die Pubertät und das junge Erwachsenenalter sind besonders anfällig für die Entwicklung psychischer Probleme. In dieser Zeit geraten viele Jugendliche unter enormen Druck, der ohne rechtzeitige Hilfe zu traumatischen “seelischen Verwundungen” führen kann. Eine fehlende Unterstützung durch das Lebensumfeld des Jugendlichen verstärkt diese Problematik noch und führt dazu, dass die Betroffenen erst spät professionelle Hilfe aufsuchen.
Wer sind diese Jugendliche?
Die Jugendlichen, die bei mir Unterstützung suchen, sind in der Regel zwischen 12 und 18 Jahren alt. Dazu kommen noch die jungen Erwachsenen im Alter bis 25 Jahren, die ebenfalls immer wieder Beratung in Anspruch nehmen.
Die jungen Erwachsenen in der Altersgruppe 18-25 Jahren kämpfen oft mit bereits verfestigten Verhaltensmustern. Dabei bilden Themen wie soziale Isolation, Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung in Schule und Beruf sowie familiäre Konflikte die Hauptschwerpunkte. Finanzielle Abhängigkeiten und das Gefühl von den Bezugspersonen allenfalls als Versager*innen angesehen zu werden, belasten die jungen Erwachsenen zusätzlich.
Jugendliche unter 18 Jahren zeigen vor allem im Schulumfeld Auffälligkeiten, die mit emotionaler Instabilität einhergehen. Zudem wirken diese Jugendlichen in gewissen Lebensbereichen als nicht altersgemäß entwickelt, was sich oft in Schulabsentismus und in einer Spirale von negativen persönlichen Denkmustern äussern.
Herausforderungen und emotionale Überforderung
Beide Altersgruppen kämpfen somit mit ähnlichen Herausforderungen, jedoch meist in einem unterschiedlichen Lebensumfeld. Sie reagieren häufig auf psychische Belastungen mit sozialer Isolation, mit Tendenzen zu Selbstverletzungen und diffusen destruktiven Verhaltensweisen. Eine Folge davon ist, dass sich die betroffenen Jugendlichen zusehends mit Suizidgedanken beschäftigen.
Bestehen zudem in ihrem familiären oder schulischen Umfeld diesbezüglich bereits stark belastende Vorerfahrungen, beeinflussen diese die Sichtweise des Jugendlichen auf sein eigenes Schicksal zusätzlich. Die emotionale Überforderung des Jugendlichen in solchen Momenten ist vor allem dann gross, wenn auch die gesellschaftlichen Erwartungen, z.B. die Forderung nach besseren Schulleistungen, den Lebensalltag des Jugendlichen weiter erschweren.
Zwei Fallbeispiele zu Reaktionen auf solche Überforderungen
- Ein 13-jähriges Mädchen, das unter Mobbing leidet, verlässt zu Hause ihr Zimmer nur noch nachts, vor lauter Angst und Unsicherheit.
- Eine andere 17-Jährige zog sich aus ihrem sozialen Umfeld so stark zurück, dass sie, wenn sie außer Haus ging, nicht mehr den Mut hatte zu sprechen – selektiver Mutismus.
Ursachenanalyse
Mobbing und Ausgrenzung
Mobbing und Ausgrenzung sind eine grosse Herausforderungen für die Gesellschaft, denn sie drängen die betroffenen Jugendlichen schlichtweg in die persönliche Isolation.
Persönliches Beispiel: Ein 19-jähriger Schüler berichtet von den Mobbing-Erlebnissen aus seiner Grundschulzeit. Heute noch lebt er täglich in Angst, er könnte als damaliges Mobbing-Opfer von irgend jemanden aus seinem aktuellen Lebensumfeld wiedererkannt werden.
Es gibt Jugendliche, die später in ihrem Leben die Mobbing-Erfahrung dahingehend interpretieren, den Anschluss zu jedweden Gruppen mit Nettigkeit und Hilfsbereitschaft “erkaufen” zu müssen, um dem anhaltenden Gefühl der damaligen Nicht-Akzeptanz irgendwie entkommen zu können.
Krankheits- und Familienproblematiken
Ein Grossteil von Jugendlichen berichten oft im Beratungsprozess von erkrankten Elternteilen oder komplexen belastenden Familiensituationen. Die Jugendlichen übernehmen in solchen Situationen oft früh Verantwortung als “Young Carers” und tragen so eine Last auf ihren Schultern, die normalerweise Erwachsene wie Eltern zu leisten hätten.
Der Mangel an emotionaler Bindung zum eigenen Vater, zur eigenen Mutter oder anderen Familienmitgliedern, verstärkt bei gewissen Jugendlichen das Gefühl, zu Hause unverhältnismässig viel Verantwortung übernehmen zu müssen.
Auch Trennungen und psychische Gewalt im familiären Umfeld hinterlassen bei Jugendlichen tiefe Spuren und führen häufig zu einer generellen Entfremdung ihrer Sicht auf ihre eigenen Familien.
Migration
Soweit bekannt, hat ein bedeutender Teil der emotional verwundeten Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Deshalb sind diese Jugendliche mit zusätzlichen Hürden in ihrer Lebensbewältigung konfrontiert. Emigrierte Familien aus Krisenregionen sind oft traumatisiert, sodass vor allem die Eltern dieser Jugendlichen mit dem Lebensalltag der neuen Heimat nur schwer zurecht kommen. Vor allem bei Behördengängen etc. übernehmen Jugendliche der betroffenen Familien die Aufgabe des Vermittler*innen, was unter Umständen zu einer Mehrbelastung des einzelnen Jugendlichen führen kann.
Lösungsansätze
All diese stark belasteten Jugendlichen fühlen sich oft in ihrem ganzen Lebensumfeld “fehl am Platz” – auch in ihren eigenen Familien. Trotz ihrem kreativen Überlebensgeschick, nach außen hin den Schein zu wahren, einfach zu funktionieren, kostet ihnen dies jeden Tag eine enorme Anstrengung. Von aussen betrachtet können solche Jugendliche den Alltag gut bewältigen. Doch die inneren seelischen Verwundungen belasten den Jugendlichen auch in seinem normalen Lebensalltag zusehends. Überforderung in alltäglichen Dingen, die für uns alle normalerweise ganz nebenbei ablaufen, werden für den betreffenden Jugendlichen plötzlich zur täglichen Belastungsprobe. Die Folge: Aus Überforderung wird eine dauernde Überlastung, die nicht selten in einem psychischen Zusammenbruch enden.
Was hilft? Vertrauensbildung und Selbstwertstärkung
Verwundete Jugendliche brauchen vertrauensvolle Bezugspersonen und vor allem positive Erfahrungen in ihrem normalen Lebensalltag. Sie müssen neu lernen, sich auf andere wieder verlassen zu können und vor allem sich bewusst werden, wo die eigenen persönlichen Grenzen sind.
Selbstvertrauen entsteht durch Selbstachtung und der Selbstliebe in allen seinen Facetten. Das Umfeld eines seelisch verletzen Jugendlichen sollte lernen, sich authentisch positiv und verstehend, dem Jugendlichen zugewandt zu verhalten. Nur so wird für den betroffenen Jugendlichen persönliches Wachstum wieder möglich.
Mit Gefühlen umgehen lernen
Viele Jugendliche und junge Erwachsene kämpfen mit Defiziten in sozialen Kompetenzen und der Affektregulation. Frustration und negative Emotionen werden von ihnen oftmals unterdrückt, was sie anfällig macht für psychische Erkrankungen.
Eine langfristige professionelle Beratung wird den Jugendlichen dahingehend unterstützen, sich selber als vielfältige Persönlichkeit besser zu verstehen und vor allem zu lernen, seine Schwächen besser anzunehmen. Der Umgang mit belastenden Gefühlen im Alltag muss vom Jugendlichen regelmässig geübt werden und vor allem das Vertrauen in das Gegenüber muss langfristig wieder aufgebaut werden.
Positive Erfahrungen sammeln
Jugendliche müssen in die Lage versetzt werden, positive Erfahrungen sammeln zu können – sei es beim Sport, in der Schule oder im Freundeskreis. Solche Erfahrungen stärken das Selbstvertrauen und steigern die Chancen auf heilende Prozesse. Wenn die Jugendlichen sich angenommen fühlen, können sie mit weniger Angst und ohne Fassade in sozialen Situationen agieren und vor allem wieder Vertrauen in sich selber finden.
Fazit: Eine gemeinschaftliche Aufgabe
Die Unterstützung von verwundeten Jugendlichen ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Eltern, Lehrpersonen, Ausbildungsstätten, Beratungsstellen und die Jugendlichen selbst müssen zusammenarbeiten, um ein Umfeld zu schaffen, das Vertrauen, Respekt und emotionale Sicherheit bietet. Nur so können Verwundungen geheilt und positive Lebenswege geebnet werden.
Bei netz-familie.ch setzen wir uns dafür ein, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen, in der Jugendliche und ihre Familien die Unterstützung finden, die sie benötigen. Wer professionelle Hilfe sucht, findet auf netz-familie.ch einen Adressenpool mit hilfreichen Beratungsstellen.
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