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Nachhilfe & Begabtenförderung – ein Widerspruch?

Nachhilfe und Begabtenförderung - Ratgeber für Eltern
Wenn Eltern über Nachhilfe nachdenken, geschieht das oft aus Sorge: "Mein Kind kommt nicht mehr mit, wir brauchen dringend Unterstützung." Wenn sich Eltern hingegen mit Begabtenförderung beschäftigen, klingt das ganz anders: "Mein Kind ist unterfordert und braucht mehr Herausforderungen."
Gastbeitrag auf netz-familie.ch

Gastautor: Vincent Zhang ist Mitarbeiter bei mathe-helden.ch ↗, einem Schweizer Anbieter für individuelle Mathematiknachhilfe für Schüler*innen aller Stufen. Der unterstützende Schulunterricht wird online oder als persönliche Nachhilfe vor Ort bei den Lernenden zuhause angeboten.


Nachhilfe und Begabtenförderungen scheinen in diesem Kontext zwei komplett unterschiedliche und sogar widersprüchliche Welten zu sein: Nachhilfe ist für die “Schwächeren”, Begabtenförderung für die “Stärkeren”.

Aus meiner Erfahrung als Tutor bei Mathehelden weiss ich, dass diese Unterscheidung gar nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Immer wieder habe ich Schüler, die nicht klar in eine dieser zwei Kategorien passen. Ich stelle inzwischen fest, dass Nachhilfe und Begabtenförderung eigentlich denselben Kern haben, nämlich die individuelle Begleitung eines Kindes auf seinem Lernweg. In diesem Artikel möchte ich beide Sichtweisen erläutern, persönliche Erfahrungen teilen und Eltern dazu einladen, das Thema aus einer neuen Perspektive zu betrachten.


Was Eltern von Nachhilfe erwarten

Wenn Eltern Nachhilfe für ihr Kind anfragen, steckt dahinter meist ein konkreter Auslöser. Typisch sind die folgenden drei Gründe:

  • Lücken im Schulstoff: Ein Kind hat bestimmte Grundlagen verpasst oder nie richtig verstanden. Das Ziel ist es die Lücken zu schliessen und im Unterricht wieder mitzukommen.
  • Prüfungsdruck: Die nächste Mathematikprüfung steht vor der Tür und die Angst davor wächst. Ziel dabei ist es, sich optimal auf die Prüfungen vorzubereiten und lernen, wie man mit dem Prüfungsstress umgeht.
  • Wenig Selbstvertrauen: Kinder haben manchmal das Gefühl, “schlechter” zu sein als die anderen. Sie verlieren deshalb oft die Motivation und das nötige Selbstvertrauen für ein erfolgreiches Lernen. Durch Nachhilfe sollen diese wieder gewonnen werden.

Nachhilfe ist in diesem Kontext wie ein Rettungsanker. Es hilft dem Kind wieder Anschluss zu finden, Unsicherheiten abzubauen und einen klaren Überblick zu gewinnen.

Genau das erlebe ich fast täglich: Schülerinnen und Schüler, die durch gezielte Begleitung Schritt für Schritt aufholen. Manchmal reicht schon ein anderer Erklärungsansatz, manchmal braucht es mehr Zeit und Übung. Entscheidend ist, dass die Kinder merken, dass sie verstanden werden, dass jemand sie ernst nimmt und dass jemand für sie da ist.


Was Begabtenförderung ausmacht

Begabtenförderung klingt nach dem Gegenteil von Nachhilfe. Hier geht es nicht ums Aufholen, sondern ums Vorwärtsgehen. Kinder, die sich im Unterricht langweilen, weil sie alles schnell begriffen haben, brauchen eine andere Art von Förderung. Sie brauchen mehr Tiefe, mehr Komplexität und mehr Raum zum Entdecken.

Ein Beispiel: Ein Kind rechnet im Kopf, während die Klasse noch das kleine Einmaleins mit Fingern übt. Es sitzt da, langweilt sich und verliert das Interesse. Das Risiko ist gross, dass solche Kinder abschalten, nicht weil sie es nicht könnten, sondern weil sie nicht gefördert und herausgefordert werden.

Begabtenförderung bedeutet also, den Wissensdurst des Kindes ernst zu nehmen und das Kind gezielt zu fördern.


Meine persönlichen Erfahrungen: Wenn ein Primarschüler mehr will

Vor ein paar Jahren hatte ich einen Schüler, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, nennen wir ihn mal Nico. Nico war ein Junge im Primarschulalter, der zu mir in die Nachhilfe kam. Ich dachte zuerst, dass ich ihm, wie bei vielen anderen Kindern auch, bei den Hausaufgaben helfen sollte und ihm den Unterrichtsstoff erklären müsste. Doch schon beim ersten Treffen war klar, dass Nico unterfordert war. Er konnte alle Hausaufgaben mühelos lösen und verstand den Stoff in der Schule bestens. Während andere Kinder in seinem Alter noch mit den Grundoperationen kämpften, löste er Aufgaben im Kopf und wollte “etwas Schwierigeres”, “Spannenderes” lernen.

Wir haben uns dann gemeinsam an das Thema Algebra gewagt, ein Thema, das normalerweise erst viel später in der Schule kommt. Plötzlich rechneten wir nicht nur mit Zahlen, sondern auch mit einfachen Buchstaben wie x, y und z. Er war fasziniert davon, wie man Gleichungen umformen kann und wie aus Buchstaben plötzlich Zahlen werden. Innerhalb weniger Wochen tüftelte er begeistert an Aufgaben, die eigentlich für deutlich ältere Schülerinnen und Schüler gedacht sind.

Für Nico war “Nachhilfe” keine Hilfe im klassischen Sinn mehr, sondern eine Art Entdeckungsreise. Es ging nicht darum, Lücken zu schliessen, sondern darum, Motivation zu finden und Türen zu öffnen. Genau hier verschwimmen die Grenzen zwischen Nachhilfe und Begabtenförderung.


Gemeinsamkeiten statt Widerspruch

An diesem Beispiel wird deutlich, dass es weniger eine Rolle spielt, ob ein Kind schwächer oder stärker ist. In beiden Fällen geht es schlussendlich darum, ein Kind dort abzuholen, wo es steht. Denn, wie bereits oben erwähnt, haben Nachhilfe und Begabtenförderung eigentlich den gleichen Kern:

  • Individuelle Begleitung: Nachhilfe und Begabtenförderung schauen auf die Bedürfnisse und Fortschritte eines einzelnen Kindes und nicht auf den Durchschnitt der Klasse.
  • Freude am Lernen: Das Ziel der Nachhilfe ist es, dass das Lernen den Kindern nicht mehr so schwerfällt, sondern ihnen sogar Spass machen sollte. Dasselbe gilt für die Begabtenförderung. Kinder sollten wieder Spass am Lernen haben, in dem sie neue Herausforderungen finden. Schlussendlich ist das Ziel bei beiden, Entwicklung zu fördern.


Die Rolle des Tutors

Als Tutor verstehe ich mich als eine Art Dolmetscher zwischen Schule und Kind. Ich versuche herauszufinden, wie ein Kind denkt, wo es steht und was es braucht, um Fortschritte zu machen. Manchmal bedeutet das, geduldig die Grundlagen zu wiederholen. Manchmal heisst es, neue Themen einzuführen, die im Lehrplan noch gar nicht vorkommen.

Wichtig ist dabei, nicht starr am Begriff “Nachhilfe” oder “Begabtenförderung” festzuhalten. Entscheidend ist die Haltung, dem Kind mit Offenheit zu begegnen. Ich höre zu, schaue genau hin, probiere aus. Quasi «Luege, lose, usprobiere». Und ich freue mich jedes Mal, wenn ein Kind plötzlich sagt: “Ah, jetzt check ich’s!” oder “Chömmer nomal so e Ufgab löse?”.


Tipps für Eltern

Viele Eltern fühlen sich unsicher und fragen sich: “Braucht mein Kind jetzt Nachhilfe oder Begabtenförderung?” oder “Was braucht mein Kind wirklich?” Hier ein paar Tipps von mir, was man in solchen Fällen tun könnte:

  • Genau beobachten: Beobachten Sie Ihr Kind beim Lernen. Wirkt es überfordert, ängstlich und gestresst? Oder eher gelangweilt, unruhig und unterfordert?
  • Gespräche suchen: Suchen Sie das Gespräch mit Lehrpersonen, Experten, aber auch mit dem Kind selbst. Oft können Kinder erstaunlich gut beschreiben, was sie brauchen.


Grenzen und Möglichkeiten

Natürlich gibt es auch Grenzen. Nicht jedes Kind braucht ständig zusätzliche Förderung. Manchmal ist es auch wichtig, dass Kinder lernen, mit Langeweile umzugehen oder selbst Strategien zu entwickeln. Dabei spielt natürlich auch der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Eltern eine Rolle.

Doch die Möglichkeiten sind vielfältig. Für “schwächere Kinder” kann Nachhilfe Druck wegnehmen, Grundlagen festigen und Motivation zurückbringen. Für “stärkere Kinder” kann zusätzliche Förderung Neugier wecken, Kreativität fördern und Lust auf Neues machen.

Schlussendlich vermittelt persönliche Begleitung allen Kindern das Gefühl, ernst genommen zu werden. Und oftmals ist genau das der Schlüssel zu einem gesunden Lernweg und Lernerfolg.


Abschlussgedanke

Die Frage, ob Nachhilfe und Begabtenförderung widersprüchlich sind, lässt sich am Ende klar beantworten: Nein, sie widersprechen sich nicht. Beide verfolgen das Ziel, Kinder dort abzuholen, wo sie stehen und ihnen zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten.

Ob das nun heisst, Unsicherheiten abzubauen oder neue Herausforderungen zu schaffen, dieser Unterschied ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Kinder erkennen, dass Lernen spannend sein kann und dass sie unterstützt werden, falls mal etwas unklar ist.

Für mich als Tutor ist es genau das, was diesen Beruf so spannend macht. Ich darf Kinder in ganz unterschiedlichen Situationen unterstützen, mal als Brücke über ein Hindernis, mal als Türöffner in eine neue Welt. Es freut mich immer zu sehen, wie ich mit meinem Wissen, anderen Kinder helfen kann, Fortschritte zu machen und Selbstvertrauen aufzubauen. Und am schönsten ist es immer, wenn ein Kind mich strahlend anschaut und meint: “Ahhh, jetzt check ich’s”

Vincent Zhang von Mathehelden ↗


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